Cannabis ist legal – aber wehe, du machst es sichtbar. Das neue Gesetz verspricht Freiheit, legt Konsumenten jedoch absurde Regeln auf, die es kaum von einem Verbot unterscheiden lassen. Als das Gesetz in Kraft trat, habe ich meine Meinung dazu geäußert – vor allem im Hinblick auf Patienten mit chronischen Erkrankungen. Neun Monate später möchte ich nun meine Eindrücke teilen und zeigen, warum das Gesetz für viele ein zynisches Spiel mit der Realität bleibt. Dabei wird deutlich, dass trotz der Entkriminalisierung viele Probleme fortbestehen, insbesondere für Freizeitkonsumenten. Diese Beobachtungen führen schließlich zu einer zentralen Frage: Wie könnte eine sinnvolle und faire Regulierung von Cannabis aussehen? Um das Problem greifbarer zu machen, folgt eine exemplarische Geschichte, die typische Situationen zeigt, in denen das Konsumcannabisgesetz an seine Grenzen stößt. Die hier niedergeschriebene Geschichte ist selbstverständlich frei erfunden. Die Protagonisten verstoßen nämlich mehrfach gegen das Konsumcannabisgesetz.
Kriminelle in deiner Nachbarschaft: Der absurde Umgang mit Cannabis
Irgendwann im Sommer 2024 begab es sich, dass ein Mann im mittleren Erwachsenenalter – nennen wir ihn Alfred – einen Abend bei einer befreundeten Nachbarin verbrachte. Besagte Nachbarin – nennen wir sie Marie – hatte Ende April zwei Cannabissamen eingepflanzt, um zukünftig ihre eigens gezüchteten Blüten rauchen zu können. Alfred und Marie sprechen oft über Cannabis. Das liegt daran, dass Marie Selbstmedikation betreibt. Sie ist Ende 40, bezieht aufgrund einer Erbkrankheit dauerhaft Erwerbsminderungsrente und hat kein großes soziales Netz. Die meiste Zeit verbringt sie zu Hause in ihrer engen Einzimmerwohnung. Nicht zuletzt, weil sie seit langem unter einer Angststörung leidet. Das Rauchen der Cannabisblüten hilft ihr mehr als alle Anxiolytika (angstlösende Medikamente), die sie jemals verschrieben bekommen hat, sagt sie.
Von Gesetzesverstößen und absurden Regelungen
Marie hat Anfang April 2024 ihren kleinen Flurschrank ausgeräumt und sich von Geld, das sie sich mühsam vom Mund abgespart hat, LED-Lampen, Belüftungsutensilien, Saatgut und all das andere Zeug gekauft, das man für erfolgreichen Cannabisanbau braucht. Der Schrank liegt direkt gegenüber der Wohnungstür und ist ohne größere Sicherheitsvorkehrungen zu öffnen (§10 KCanG „Schutzmaßnahmen im privaten Raum“). Gegen Ende des Sommers hat Marie nicht nur ihre ersten Blüten geerntet, sondern bereits getrocknet, sodass sie ohne Probleme konsumiert werden können. Sie hat zwar zuvor noch nie Cannabis angebaut, sich aber minutiös an die im Internet gefundenen Grow-Anleitungen gehalten., sodass bereits ihre erste Ernte nach dem Trocknen (Ertrag EINER Pflanze) deutlich mehr als 50 Gramm beträgt (§3 Abs. 2 Nr. 1 KCanG „Erlaubter Besitz von Cannabis“).
Entsprechend freigiebig geht Marie mit ihrer Ernte um. Sie gibt Alfred (und wahrscheinlich auch anderen) die eine oder andere getrocknete Blüte ab (§9 Abs. 2 KCanG „Anforderungen an den privaten Eigenanbau“, Weitergabe an Dritte). Manchmal wird auch zusammen konsumiert.
Wie das Gesetz die Kriminalität befördert
Szenewechsel in den Nachbarort. Es ist ein anderer Tag, eine andere Uhrzeit, andere Akteure, aber immer noch Sommer 2024. Alfred besucht am Wochenende ehemalige Kollegen, nennen wir sie Mike und Lena, die als Paar zusammenleben. Seit Alfred, Mike und Lena nicht mehr zusammenarbeiten, treffen sie sich alle paar Wochen bis Monate und tauschen sich über Änderungen im Leben und Alltag, über Vergangenes und Zukünftiges aus. Auch Mike baut in einem Growzelt sein eigenes Cannabis an. Auch er hat schon ein erstes Mal geerntet und die Blüten weitgehend getrocknet. Durch Blattläuse und andere Schädlinge hatte er einen Großteil seiner Ernte verloren. Trotzdem beläuft sich die getrocknete Menge, die er zu Hause lagert, noch auf rund 75 Gramm (§3 Abs. 2 Nr. 1 KCanG „Erlaubter Besitz von Cannabis“). Er bewahrt die getrockneten Blüten zum weiteren Trocknen und „Aushärten“ in Einmachgläsern auf. Diese müssen für den optimalen Trocknungs- und Aushärteprozess mindestens einmal am Tag für fünf Minuten geöffnet werden. Mike und Lena haben aber über den September eine Kreuzfahrt gebucht und dahin kann man die fünf Einmachgläser nicht mitnehmen. Mike fragt also Alfred, ob er sich bereit erklärt, sich für drei Wochen um sein Cannabis zu kümmern (§9 Abs. 2 KCanG „Anforderungen an den privaten Eigenanbau“, Weitergabe an Dritte), die Blüten also mit zu sich nach Hause zu nehmen (§3 Abs. 1 KCanG „Erlaubter Besitz von Cannabis“ bezogen auf die zum Mitführen erlaubte Menge). Alfred willigt ein.
Hier lassen wir die Geschichte enden… Diese exemplarischen Situationen veranschaulichen, wie die aktuelle Gesetzeslage weiterhin zahlreiche praktische Probleme und Unsicherheiten schafft. Sie dienen als Grundlage, um im Folgenden die Notwendigkeit einer umfassenden Entstigmatisierung und besser durchdachten Regulierung zu diskutieren.
Entkriminalisierung ist nicht gleich Entstigmatisierung
Auch wenn mit dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes am 01.04.2024 die jahrzehntelange Prohibition von Cannabis ein Ende gefunden hat, heißt das noch lange nicht, dass die Droge Cannabis (und ihre Nutzer) nicht mehr kriminalisiert werden. Laut diesem Gesetz darf ich Cannabis zu Hause anbauen, aber bitte ohne, dass jemand, der mich besuchen kommt, Zugriff darauf hat. Mit anderen Worten: Ich muss es verstecken oder zumindest unter Verschluss halten. Die gesellschaftliche Konvention, dass Freunde nicht ungefragt an die Sachen eines anderen gehen und Schränke sowie Schubladen nicht ungefragt öffnen, scheint im Zusammenhang mit Cannabis für den Gesetzgeber nicht denkbar. Wenn ich Konsument bin und mit Freunden zusammen konsumieren möchte, dann geht das nur, wenn jeder sein eigenes Cannabis mitbringt. Abgeben ist verboten. Tauschen ist verboten. Kein Verkaufen, kein Verschenken. Auch wenn dies an der Konsumrealität vorbei geht, kann man sich noch damit arrangieren und sich ein “okay, na gut” samt Umsetzung abzwingen.
Aber der Gesetzgeber hat neben Konsumrealitäten auch botanische Tatsachen nicht einbezogen, was unlogische Situationen provoziert. Der Besitz von drei Pflanzen ist erlaubt, aber in der Regel reicht die durchschnittliche, getrocknete Ernte einer Pflanze aus, um die erlaubten Besitzgrenzen zu überschreiten. Nach Angaben von Experten kann der Ertrag pro Pflanze je nach Sorte und Anbaubedingungen nach Trocknung zwischen 100 und 300 Gramm betragen. Selbst bei minimalem Ertrag wäre somit die erlaubte Grenze von 50 Gramm pro Pflanze deutlich überschritten, was die praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben erschwert. In der Öffentlichkeit Cannabis dabei haben ist okay, aber bitte nur 25 Gramm. Draußen zu konsumieren geht auch, allerdings ist durch das flächendeckende Vorhandensein von Kinder- und Jugendeinrichtungen fast die ganze Stadt eine Verbotszone. Auch hier kann man sich für den Kinder- und Jugendschutz noch ein “na gut, dann trinke ich meinen Alkoh… achnee…. rauche ich mein Cannabis woanders” abringen.
Telemedizin und leichte Zugänglichkeit zu Cannabis
Interessanterweise haben sich Telemedizinanbieter etabliert, die Gelegenheitskonsumenten eine alternative Bezugsquelle bieten. Diese Anbieter stellen, oft ohne großartige Hürden, Privatrezepte für medizinisches Cannabis aus. Dadurch können Nutzer medizinisches Cannabis legal in Apotheken beziehen. Von dieser Situation profitieren sowohl die Telemedizinanbieter als auch die Pharmaunternehmen, die medizinisches Cannabis produzieren, da Cannabis nicht mehr als Betäubungsmittel gilt.
Diese Praxis wirft jedoch Fragen auf: Sollte medizinisches Cannabis wirklich so leicht erhältlich sein oder untergräbt dies die eigentliche Intention der medizinischen Versorgung? Ein weiterer Kritikpunkt, der vor allem aus der Cannabiscommunity häufig geäußert wird, betrifft die Qualität des medizinischen Cannabis. Es wird bemängelt, dass die Blüten bestenfalls von mittelmäßiger Qualität seien. Dabei wird jedoch oft vergessen, dass der Begriff „medizinische Qualität“ klar definiert ist und sich auf Parameter wie Reinheit, Wirkstoffgehalt und Kontaminationsfreiheit bezieht. Diese Definition entspricht nicht unbedingt dem, was eingefleischte Cannabisnutzer als “Qualität” ansehen, die eher auf Faktoren wie Terpenprofil oder Geschmack Wert legen. Einerseits schafft es eine legale Alternative zum Schwarzmarkt, andererseits könnte dies die Stigmatisierung von Freizeitkonsumenten verstärken, die weiterhin unter strengeren Auflagen stehen. Zudem verschwimmen die Grenzen und es spricht sich immer mehr rum, dass Freizeitkonsumenten dieses Schlupfloch nutzen. Wenn Menschen dies problematisieren oder gar verurteilen und dies auf alle Menschen, die medizinisches Cannabis nutzen, übertragen, kann das zur Stigmatisierung und Diskriminierung von Cannabispatienten führen, die medizinisch auf dieses Medikament angewiesen sind.
Einschränkungen für Gelegenheitskonsumenten und Probleme bei Anbauvereinigungen
Ein weiteres Problem des Konsumcannabisgesetzes betrifft Gelegenheitskonsumenten. Wer nicht selbst anbauen möchte oder kann, hat weiterhin nur eingeschränkten Zugang zu Cannabis. Der Selbstanbau bietet große Erträge, die man, wenn man sie nicht selbst konsumiert, nur vernichten und nicht weitergeben darf, da dies gesetzlich verboten ist.
Alternativ können sich Konsumenten Anbauvereinigungen anschließen, jedoch stehen diese vor erheblichen bürokratischen Hürden. Sie müssen umfassende Konzepte für Sicherheit, Jugendschutz und Vernichtung vorlegen, um eine Anbaulizenz zu erhalten. Zudem wird in besorgniserregender Weise das Konsumverhalten der Mitglieder dokumentiert und gesammelt.
Kontrolle und Regulierung sind wichtig, doch unter den aktuellen Bedingungen bleibt vielen Gelegenheitskonsumenten weiterhin nur der Weg zum Schwarzmarkt, da der legale Zugang zu kompliziert und aufwändig ist. Um dies zu verbessern, könnten vereinfachte Verfahren für Anbauvereinigungen eingeführt werden, die weniger bürokratische Hürden mit sich bringen. Zudem wäre eine moderate Erhöhung der Besitzgrenze sinnvoll, um den Eigenanbau attraktiver zu machen, ohne die Konsumenten in die Illegalität zu drängen. Perspektivisch könnten Anbauvereinigungen zusätzlich eine Rolle als Produzenten hochwertiger Sorten mit besonderen Terpenprofilen übernehmen, ähnlich wie Craft-Breweries im Bereich von Bier. Solche Craft-Cannabis-Produkte könnten eine attraktive Ergänzung zum regulären Angebot darstellen und gezielt Kenner ansprechen.
Pharma-Cannabis und Craft-Produkte: Die Lösung?
Abschließend lässt sich festhalten, dass die geplante Versorgung mit Cannabis zur Freizeitnutzung durch Pharmaunternehmen entsprechend Säule 2 des Zwei-Säulen-Modells durchaus Vorteile bietet. Durch ihre etablierten Qualitätsstandards werden Risiken wie Kontaminationen, die auf dem Schwarzmarkt häufig sind, effektiv vermieden. Zudem könnte diese Regulierung viele der eingangs geschilderten Probleme, wie die Unsicherheit beim privaten Anbau und die Illegalität der Weitergabe, langfristig lösen.
Um jedoch den vielfältigen Bedürfnissen der Konsumenten gerecht zu werden, könnte es sinnvoll sein, Anbauvereinigungen ein gewinnorientiertes Wirtschaften zu ermöglichen. Diese könnten lokal gezüchtete Cannabissorten mit besonderen Geschmacksrichtungen oder spezifischen Terpenprofilen anbieten, vergleichbar mit dem Konzept von Craft-Beer. Für solche Premiumprodukte wären Kenner sicherlich bereit, höhere Preise zu zahlen. Dies würde nicht nur die Produktvielfalt erhöhen, sondern auch Arbeitsplätze schaffen und zusätzliche Steuereinnahmen generieren. Ein zu erhoffender Nebeneffekt wäre, dass Cannabis aus der Schmuddelecke geholt wird, denn mit Premiumprodukten geht auch meist eine andere Wahrnehmung einher, die mit bestimmten Bildern verbunden ist. Hier muss man sich nur die eigene Wahrnehmung von Tetrapak-Wein und einer edlen Rotwein-Flasche mit Kelterei-Etikett vor das innere Auge holen. Wie sieht der Mensch aus, der den Tetrapak-Wein trinkt und wie sieht der Rotweintrinker aus?
Die zusätzlichen Steuereinnahmen könnten gezielt in wirksame Präventionsmaßnahmen investiert werden. Studien zeigen, dass universelle Präventionsprogramme in Schulen, die auf die Förderung von Lebenskompetenzen abzielen, effektiv sind. Programme wie “Unplugged” oder “REBOUND – meine Entscheidung” haben nachweislich dazu beigetragen, den Einstieg in den Cannabiskonsum zu verzögern und den regelmäßigen Konsum zu reduzieren
Zudem hat sich gezeigt, dass interaktive Formate der reinen Wissensvermittlung überlegen sind. Programme, die soziales Kompetenztraining und die Stärkung gegen soziale Einflussnahme kombinieren, sind besonders wirksam.
Durch die Kombination aus kontrollierter Abgabe, vielfältigem Angebot und gezielter Prävention kann ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis in der Gesellschaft gefördert werden. Damit könnte langfristig sowohl der Schwarzmarkt eingedämmt als auch das Risiko eines schädlichen Konsumverhaltens minimiert werden. Ein solcher Ansatz schafft nicht nur rechtliche Klarheit, sondern fördert auch die gesellschaftliche Akzeptanz einer regulierten und verantwortungsvollen Nutzung von Cannabis. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wollen wir weiterhin eine Politik, die den Schwarzmarkt stärkt und Konsumenten kriminalisiert, oder gestalten wir endlich eine moderne, realitätsnahe Drogenpolitik? Jetzt ist es an der Zeit, Druck auf die Verantwortlichen auszuüben und für eine faire, nachhaltige Lösung einzustehen!
Weiterführende Quellen
- Änderungen der Betäubungsmittelgesetzgebung
- Bedeutung der EU-Monographie als Qualitätsstandard für Cannabisblüten
- Berichterstattung über Cannabis-Modellprojekt in Berlin
- Berichterstattung über Cannabis-Modellprojekt in Hannover
- BzgA-Material zu Cannabisprävention
- Cannabisprävention an Schulen – Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme
- Ertrag pro Cannabis-Pflanze (Cannabis Business Times)
- Ertrag pro Cannabis-Pflanze (Hey Abby; Homegrow-Zubehör)
- Ertrag pro Cannabis-Pflanze (Royal Queen Seeds)
- Gesetze im Internet: Konsumcannabisgesetz
- Kommentar zu Telemedizin und medizinischem Cannabis